China von innen..
oder – dort, wo Mao baden ging
Autorin: Evemarie Haupt
QingDao – oder Tsingtau – der Name klang mir noch im Ohr von früher her, da hatte es doch eine Verbindung gegeben – richtig – diese heute 3 Millionen-Stadt zwischen Peking und Shanghai gelegen, hat bereits viele Beziehungen zu Deutschland gehabt und hat sie noch heute. Vor rund 100 Jahren war es 16 Jahre lang eine Art „Pachtgebiet“ von Deutschland aufgrund verschiedener Ereignisse. Das brachte auch einiges Gute mit sich, wie einen Krankenhausbau, der noch weiterhin in Benützung ist, oder das heutzutage im ganzen Land berühmte Bier. Damals lebte hier an die 20 Jahre lang der große deutsche Sinologe Richard Wilhelm, der erste Übersetzer des „I Ging“, des „Buches der Wandlungen“ und weiterer taoistischer und buddhistischer Grundlagenliteratur.
Heute befindet sich ganz in der Nähe dieser Stadt, 40 km in den wunderschönen LaoShan-Bergen gelegen das „LaoShan-Zentrum für Lebenspflege“, geleitet von Prof. Sui QingBo und seiner Frau Lena DuHong, das jährlich etwa 60 deutsche Besucher hat, die dort für 2-6 Wochen intensiv trainieren und „China von innen“ erfahren können.
Das war auch der Grund, der mich zu dieser 3-wöchigen Reise bewogen hat: Fortbildung in Qigong, Taiji und TuiNa-Massage in Verbindung mit der Möglichkeit, Land und Leute wahrnehmen zu können. Lena und QingBo hatte ich als Qigonglehrer bereits im Meditationshaus Dietfurt kennengelernt und eine Woche Training mit ihnen in Schwarzenberg/Österreich erlebt, da wußte ich in etwa, was mich erwartet. Nun, auf dem Rückflug, kann ich Bilanz ziehen und es ist zusammenfassend nur zu sagen: Es war eine rundum wunderbare Zeit.
Dabei fiel genau in die Hälfte des Aufenthalts die Schreckensnachricht von New York, die uns alle natürlich schockierte und zutiefst beunruhigte. Eine tiefe Erfahrung war dabei, wie uns die Rückkehr zur Übung wieder sammelte und klärte, nachdem wir morgens früh, konfrontiert mit den Informationen, zunächst wie gelähmt waren oder aufgeregt diskutierten. Aber die Situation hatte sich grundlegend verändert, jedenfalls für mich: Die leichte Heiterkeit der ersten Woche vertiefte sich zu fundamentaler Ernsthaftigkeit und Klärung.
Die 15 Menschen aus Hamburg, Berlin, München und anderswo, die auf dem Flughafen in Frankfurt zusammengetroffen waren um nach China zu fliegen, hatten durchaus verschiedene Ziele im Sinn: Fortbildung, Intensivkur, oder auch vorrangig Urlaub zu machen. Jeder kam auf seine Kosten, je nach Interesse.
Das „LaoShan-Zentrum für Lebenspflege“ liegt traumhaft schön in den Bergen, etwa 350 m hoch, in einer knappen Stunde Auto-Fahrt von der Stadt QingDao gut zu erreichen: Ein kleines Dorf, touristisch eingestellt, am Zusammenfluß zweier Flußläufe (da fehlt es natürlich nicht an Symbolik!) und dazwischen liegt das Zentrum. Es besteht aus dem Haupthaus und Nebengebäuden, die 1938 im späten Jugendstil vom Orden der Franziskanerinnen errichtet worden waren. Später gehörten sie zu einem staatlichen Sanatorium; schließlich konnten es Lena und QingBo pachten und neu gestalten. Außenanlagen wurden angelegt, eine große Glashalle für die Kursarbeit aufgebaut und seit 1992 finden dort regelmäßig Kurse statt. Beide sind unablässig um ihre Gäste bemüht, assistiert von einer ganzen Anzahl von weiteren Familienangehörigen und freundlichen dienstbaren Geistern. Wir fühlten uns rundum bestens versorgt.
Als erstes ist das Training zu nennen. Ab 6.00 Uhr morgens konnten Interessierte bereits mit der Schwertform des Taiji üben, dann ab 6.30 bis 8.00 Qigongübungen. Immer im Freien, am Übungsplatz beim Flußufer. Vormittags folgten meist 2 Stunden TCM-Theorie und TuiNa-Massage. Auch Einführung in das „I Ging“ gab uns QingBo auf unsere Nachfrage. Nachmittags konnte Chinesischunterricht genommen werden und wieder 3 Stunden Taiji, Schwert-, Stock- oder Fächerform und Qigongübungen. Vor allem QingBo selbst, aber auch sein Bruder und Lena leiteten die Übungen sehr konzentriert an. Jeder Teilnehmer konnte seine Trainingsintensität selbst gestalten. Dann war es möglich, Einzel-TuiNa-Behandlungen bei QingBo zu erhalten (mit entsprechendem Aufpreis). Eine chinesische TCM-Ärztin aus dem 2. Volkskrankenhaus in QingDao kam zweimal übers Wochenende zur Pulsdiagnose, die verblüffende Ergebnisse brachte. Die einzelnen Organbereiche können über verschiedene Stellen am Puls diagnostiziert werden. Es verlangt jedoch lange Übung und Erfahrung. Hauptsächlich leiden wir Deutschen wohl an Nierenschwäche, wie sich zeigte. Aber auch Milz- und Magenprobleme, Leber-, Lungen- oder Herzprobleme kamen auf und wurden mit Kräutermedizin behandelt.
Neben den Trainingsstunden gab es die Möglichkeit, bei einem alten Professor von der Universität QingDao in chinesische Malerei und Kalligraphie eingeweiht zu werden. Es war erstaunlich, welch schöne Resultate entstanden und als Rollbild aufgezogen mit nach Hause genommen werden konnten. Lena sorgte auch dafür, daß viele schöne und nützliche Dinge besorgt und erworben werden konnten. Vom Maßanzug in Seide für das Training und entsprechende Schuhe, über „roten Tee“ bis zum Küchenmesser oder Tigerbalsam gab es viele Möglichkeiten. Auch ein „Kochkurs“ war zweimal angesagt und einige Geheimnisse der chinesischen Küche wurden enthüllt. Dabei sind wir bei einem Spitzenthema angelangt: Das reichhaltige Essen, nach der 5-Elemente-Lehre zusammengestellt. Ich habe noch nie so gut und viel gegessen, wie in diesen 3 Wochen! Dreimal täglich gab es warme Küche, der runde Tisch war mit Drehscheibe in der Mitte versehen, so daß ständig eines der jeweils 15 bis 20 verschiedenen Gerichte am eigenen Platz vorbeikam und es nur nötig war, mit den Stäbchen geschickt umzugehen, um die köstlichen Leckerbissen zu „angeln“. Viel Gemüse in allen Variationen, Suppen, Reis, Fisch und Fleisch. Morgens auch Kaffee und Toast zum chinesischen Frühstück dazu. Interessant war, daß sich für jeden das Gewicht irgendwie einpendelte. Der eine nahm etwas zu, der oder die andere etwas ab, ganz individuell.
Bleibt zum Schluß noch zu berichten über die schönen Wanderungen und Ausflüge, die unternommen wurden. Ob es der Besuch bei einer chinesischen Bauernfamilie war, oder der Aufstieg früh um 6.00 zum kleinen Kloster und Wasserfall, die sechstündige Wanderung durch die LaoShanberge bei Sonnenaufgang mit herrlichen Ausblicken auf das Meer – es sind unvergeßliche Erlebnisse. Auch die Fahrt zum Taoistentempel und buddhistischen Klöstern beeindruckte stark, nicht zuletzt durch die landschaftliche Schönheit der Fahrtroute am Meer entlang. Uralte Bäume und Felslandschaft einerseits und zum anderen die Intensität der vielen Gläubigen, die wie in Beijing auch, mit Weihrauchstäbchen ihre Verehrung bezeugen, läßt etwas erahnen von der vieltausendjährigen Kultur dieses Landes. Von offizieller Seite teilweise auch nur als touristische Attraktion angesehen, sind es jedoch, auch an Werktagen, Menschenmassen, die hindurchströmen.
QingDao selbst ist eine sehr angenehme Stadt am „Gelben Meer“ mit Fachwerkhäusern und Jugendstilvillen aus der „deutschen“ Zeit. Wegen der günstigen klimatischen Lage ist es Erholungsort der Spitzenpolitiker bis heute. Sowohl Chiangkaischecks ehemalige Traumvilla ist zu besichtigen, wie Mao’s Klavier aus Leipzig, der Schrank aus Stuttgart und an seinem bevorzugten Badestrand tummeln sich heute jung und alt. Neben der reizvollen Altstadt ist ein riesiger neuer Stadtteil, „Little Hongkong“ genannt wegen der vielen Hochhäuser, errichtet worden und noch teilweise im Bau. Hunderte von Wohnungen stehen leer. nicht zu bezahlen offenbar für das einfache Volk, das teilweise in miserablen Hütten in Slumquartieren wohnt. Ein Prospekt in englischer Sprache wirbt um Investoren und es scheint der fünftgrößte Außenhandelshafen in China zu werden. Die Entwicklung ist rasant und ausgerichtet auf das Jahr 2008, wenn die olympische Segelregatta in QingDao stattfinden wird. Dann ist wohl damit zu rechnen, daß dieser verträumte Winkel Chinas von der Welt entdeckt wird….
Die Diskrepanz zwischen diesem enormen Entwicklungstempo und der sichtbaren Armut ist groß und eine weitere Vertiefung ist zu befürchten. Auf dem Lande scheinen die Jahrhunderte stehen geblieben zu sein – in den Großstädten das Jahrtausend bereits vorangeschritten.
Peking/Beijing hat sich in den letzten 2 Jahren so verändert, daß eine Mitreisende es kaum wiedererkannte. Zwei Tage verbrachten wir dort in einem Hotel mit internationalem Standard, daneben Exclusivgeschäfte und dahinter die ärmlichen Hütten. Den Kaiserpalast bei Kaiserwetter zu besichtigen ist natürlich ein Glücksfall für uns gewesen. Ebenso, morgens um 6.00 Uhr am „Kohlenberg“, einem schönen Park-Hügel, zu erleben, wie Hunderte, je vielleicht Tausende von Menschen „üben“ – Schwertform, Taiji, manche Qigong-Gruppen, Einzelne, – miteinander schwatzend oder mit Musikbegleitung aus dem Radio oder Recorder. Besonders beeindruckend die alten Frauen, die Beine und Arme abklopfend dasitzen oder stehen, mit dem Fuß hochgelegt wippen und vergnügt sind. Dann andere laut rufend oder singend, wie zum Beispiel der alte, 82jährige Mann, der allein im Wäldchen ganze „Arien“ sang und dann die vielen tanzenden Menschen. Große Gruppen mit „westlichen“ Tänzen oder kleinere, emsig studierend, feine Damen dabei, solo, mit Handschuhen und Sonnenschirmchen. Etwa um 8.00 war alles voller Menschen an diesem Sonntagmorgen. Das gleich erlebten wir an einem Werktag in QingDao um 6.00 Uhr früh an der Hafenpromenade: Fächerschwingende Frauengruppen, schwertschwingende Taiji-Gruppen, Einzelne überall, alle üben irgendetwas. Die junge Generation offensichtlich lieber Sport und westliche Tänze. Auf der Straße tanzend fand ich mich plötzlich „rockend“ mit einem unbekannten Chinesen. Jedoch auch Taijigruppen haben wir uns zugesellt und es wurde sehr freundlich aufgenommen. Wenige „Westler“ sind in QingDao zu sehen, das wird sich wohl rasch ändern. Insgesamt ist nur eine Ahnung zu erhaschen von dem, was dieses riesige Land bewegt und in welchen Spannungen es sich befindet. Faszinierend, dies hautnah mitzuerleben.
Wenn ich nach meinen Eindrücken dieser Reise gefragt werde, kann ich nur sagen „wo soll ich anfangen?“ Es war so vielfältig und reich, es ist unmöglich auch nur den größeren Bruchteil der Erfahrungen aufzuzählen. Schließlich ist natürlich auch zu sagen, daß das Preis-Leistungsverhältnis gestimmt hat, was zur allgemeinen Zufriedenheit beiträgt. Einkaufsmöglichkeit gab es für den Einzelnen genügend in den riesigen Kaufhäusern oder kleinen Läden der Stadt, bei den am Boden kauernden Frauen auf dem Land oder in den Tempeln und Klöstern, die auch entsprechend genützt wurden. Glücklich landeten wir wieder in Frankfurt ohne weitere Probleme, was bei der Gesamtsituation alle sehr dankbar stimmte.